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Foto: TheDigitalArtist/pixabay.com (Symbolbild)
Panorama

Doppeltes Leid: Deshalb werden Verbrechensopfer gemobbt

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Opfer von Straftaten werden immer wieder gemobbt. Gerade die Betroffenen in Aufsehen erregenden Fällen sehen sich mit Cybermobbing konfrontiert. So absurd alles erscheint, Psychologen kennen die Ursachen.

Von Michi Jo Standl

Dieses Jahr jährt sich die Flucht der Wienerin Natascha Kampusch zum 15. Mal. 1998 wird Natascha als Zehnjährige auf dem Schulweg entführt, verbringt acht Jahre in einem Kellerverlies in Straßhof bei Wien. Der Fall schlägt weltweit hohe Wellen. 2006, noch im Jahr ihres spektakulären Entkommens aus den Fängen ihres Peinigers Wolfgang Přiklopil, gibt sie im österreichischen Fernsehen ORF ihr erstes Interview. Die Tragödie bekommt ein Gesicht. Sie erfährt allerdings nicht nur Mitleid. Im Gegenteil: Nach der ersten medialen Schockstarre wird sie im Internet beleidigt und beschimpft, als Selbstdarstellerin und sogar als geldgierig tituliert. 2019 veröffentlich sie sogar ein Buch über ihre Erfahrungen: Cyberneider. Diskriminierung im Internet. Aber auch Betroffene weniger bekannter Verbrechen werden gemobbt. Doch warum begegnen Menschen Opfern mit so viel Hass?

„Ein Grund für Cybermobbing gegen Opfer von Straftaten ist die sogenannte Täter-Opfer-Umkehr“, sagt Univ.-Prof. Dr. Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin. „Menschen neigen dazu, die Schuld beim Opfer zu suchen.“ Psychologen sprechen von Victim Blaming. „Der oder die wird das schon verdient haben“, erklärt der Diplom-Psychologe die Schlussfolgerung vieler Menschen. Scheithauer erklärt das Phänomen an einem klassischen Beispiel: „Nachdem eine Frau vergewaltigt wurde, kann es durchaus heißen: ,Hätte sie nicht so einen kurzen Rock angezogen’.“

“Schlechte Menschen erfahren Schlechtes”

Die Täter-Opfer-Umkehr hat aus psychologischer Sicht verschiedene Ursachen. „Zum einen suchen Menschen Gründe für das Geschehene“, so Prof. Scheithauer. „Zum anderen kommt noch eine andere Hypothese ins Spiel: Der Gerechte-Welt-Glaube.“ Menschen glauben an das Gute in der Welt und ziehen nach einem Verbrechen den Schluss, dass Schlechtes nur schlechten Menschen widerfahren kann. Schlussfolgerung: Das Opfer muss selbst schlecht sein, sonst wäre ihm das nicht passiert.

Mechanismus für den Selbstschutz

Der Gerechte-Welt-Glaube verursacht im Umkehrschluss bei vielen Menschen auch eine Art Abwehrreaktion zum Eigenschutz: „Mir kann so etwas nicht passieren, denn ich bin ja nicht schlecht.“ „Diesen Mechanismus zeigen immer wieder wissenschaftliche Experimente“, weiß Scheithauer. „Wenn wir Opfer als Schuldige sehen, entlastet das uns selber, wir fühlen nicht mehr so verletzlich, da es uns nicht auch passieren kann – vermeintlich.“

Verstärkter Effekt bei bekannten Opfern

Opfer, die nach einer bekannten Straftat in die Öffentlichkeit geraten sind, wie Natascha Kampusch, haben zusätzlich noch mit den gleichen Problemen wie Prominente zu kämpfen. „Wir wissen aus Studien, dass negative Schicksale von Prominenten als weniger schwerwiegend angesehen werden, als die der Leute von Nebenan. Gegenüber Prominenten wird weniger Empathie gezeigt”, erklärt Scheithauer. “Das verstärkt dann noch das Cybermobbing gegen solche Opfer.”

Michi Jo Standl
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